Rückabwicklung von Versicherungsverträgen

Die Voraussetzungen für ein unbegrenztes Widerspruchsrecht der Versicherungsnehmer von Lebensversicherungsverträgen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied mit Urteil vom 19.12.2013, Az.: C-209/12, im Fall „Endress ./. Allianz“, dass eine nationale Regelungwie § 5 a II S. 4 VVG a. F. unvereinbar mit Art. 15 I der Richtlinie 90/619/EWG und Art. 31 I der Richtlinie 92/96/EWG ist.

Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte daraufhin mit Urteil vom 07.05.2014, Az.: IV ZR 76/11, ein unbegrenztes Widerspruchsrecht der Versicherungsnehmer für Lebensversicherungsverträge, die in den Jahren 1994 bis 2007 abgeschlossen wurden, bei Vorliegen einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung. Der BGH bestätigte die Unwirksamkeit der Ausschlussfrist ausschließlich für den Bereich der Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung. Ein „ewiges“ Widerspruchsrecht ist ausschließlich gegeben, wenn es auf die Jahresfrist des § 5 a II S. 4 VVG ankommt. Somit ist das Widerspruchsrecht auch eröffnet, wenn der Versicherungsnehmer die Versicherungspolice, Versicherungsbedingungen oder Verbraucherinformationen nicht erhalten hat.

Damit wurde die Möglichkeit eröffnet, den genannten Verträgen auch nach Ablauf eines Jahres unbegrenzt zu widersprechen.

Selbst eine zuvor ausgesprochene Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren Widerspruch nicht entgegen. Da der Versicherungsnehmer über sein Widerspruchsrecht nicht ausreichend belehrt wurde, konnte er sein Wahlrecht zwischen Kündigung und Widerspruch nicht sachgerecht ausüben (BGH vom 16.10.2013, IV ZR 52/12).

Im Falle eines Widerspruchs sind gemäß § 812 I S. 1 BGB sämtliche eingezahlten Prämien erstattungsfähig. Darüber hinaus sind die tatsächlich gezogenen Nutzungen des Versicherers aus den Versicherungsprämien, soweit nicht der Risikoanteil betroffen ist, zu erstatten. Der mit der Anlage des Sparanteils erzielte Gewinn steht dem Versicherungsnehmer bei kapitalbildenden Lebensversicherungen als tatsächlich gezogene Nutzung zu (BGH, Urteil vom 24.02.2016, Az.: IV ZR 512/14). Der BGH stellt im Urteil vom 11.11.2015, Az.: IV ZR 513/14, klar, dass Fondsverluste nicht vom Versicherungsnehmer zu tragen sind, um das Widerspruchsrecht nicht zu entwerten.

Zu beachten ist, dass der Versicherer gemäß Urteil des BGH vom 01.06.2016, Az.: IV ZR 482/14, den Einwand der Entreicherung geltend machen kann. Abschluss- und Verwaltungskosten sind jedoch nicht abzugsfähig. Lediglich die kalkulierten Risikokosten sind zu berücksichtigen, so zum Beispiel auch die Kosten für eine vereinbarte Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.

Ein Widerrufsrecht kann auch bei vor 1995 oder nach 2007 abgeschlossenen Lebensversicherungsverträgen im Einzelfall bestehen. Insoweit muss eine Einzelfallprüfung erfolgen, ob zum einen die Rentabilität des Renten- oder Lebensversicherungsvertrages gegeben ist und zum anderen eine Lösung vom Vertrag durch Widerspruch gemäß der aktuellen BGH-Rechtsprechung erfolgen kann.

Mit Urteil des BGH vom 16.07.2014, Az.: IV ZR 73/13, wurde klargestellt, dass bei ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung und Überlassung sämtlicher erforderlicher Unterlagen kein weitergehendes Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers besteht.